Geschichte, Wissenswertes & Historie der Bregenzer Stühle
Der Bregenzer Patent-Sessel
Der Bregenzer Stuhl – oder auch Bregenzer Patent Sessel genannt – war ein zentraler Bestandteil des Mobiliars vieler Gast- und Wohnhäuser des Rheintals im vergangenen Jahrhundert. Darunter zählen unter anderem der ehemalige bayrische Hof neben der Bregenzer Kaserne, das Heidelberger Fass und das Gasthaus Kinz in der Kirchstraße sowie die Gaststube des „Weißen Kreuz“ in der Römerstraße. Er findet sich auf historischen Aufnahmen von Brauereiarbeitern in Dornbirn, im Paznaun und der Verkauf des Stuhls bis ins Tiroler Außerfern ist ebenfalls dokumentiert.
Eine seiner raren Erwähnungen findet er im Buch ,,Vor Jahren hier der Weiher stand,“ von Saiko Grete aus dem Jahr 1994.
Entwickelt und produziert wurde der Sessel im Bregenzer Weiherviertel von den Schreinern Josef Kempter und Gebhard junior Kemter. 1894 wurde durch die Patenturkunde vom k. & k. Privilegienarchiv die Herstellung geschützt. Das Besondere und Innovative an diesem Stuhl war nicht nur dessen Zusammenbau, sondern auch die damals unübliche Mischung von Holz mit Elementen aus Eisenguss. Zur Jahrhundertwende setzte die Anfertigung eines einfachen Stuhls tischlermäßige Fachkenntnisse voraus: das Fügen, das Zusammensetzen und Bearbeiten der verschiedenen Einzelteile mitsamt seinen materiellen Qualitäten führte - wenn dies gelungen und harmonisch umgesetzt werden konnte - zum vielbeachteten „Meisterstück“. Dabei musste der Tischler alle seine Kenntnisse und Fertigkeiten einsetzen, die er während seiner Ausbildung zur „Meisterschaft“ entwickelte.
Anders der Bregenzer Stuhl:
Nachdem alle Verbindungen beim Patent Sessel gesteckt oder verschraubt ausgeführt wurden, konnte der Zusammenbau auch von ungeübten oder angelernten Handwerkern erbracht werden. Damit nehmen die Kemters bereits die Möglichkeit zur Massen- bzw Serienfertigung vorweg.
Es sollte bis ins Jahr 1947 dauern, bis in Schweden ein gewisser Ingvar Kamprad auf dem Hof Elmtaryd im Dorf Agunnaryd auf die Idee kam, Möbel derart simpel miteinander zu verbinden, dass auch der unbedarfte Kunde in der Lage ist, das erworbene Mobiliar in Eigenregie zusammenzubauen. Wie eine konsequente Massenproduktion von Möbeln während der Monarchie aussah, konnte man ab den 1860er Jahren bei den Gebrüdern Thonet beobachten. Die Serienfertigung von überwiegend maschinell hergestellten Einzelteilen erfolgte an den mährischen Standorten in unmittelbarer Nähe zu den Buchenwäldern, welche als Rohstoffquelle unersetzlich waren. Langjährige Holzlieferverträge mit den Forstbesitzern waren ebenso Bestandteil der Unternehmensstrategie wie auch die Nutzung von billigen Arbeitskräften in der Region, die für den Zusammenbau und auch für das Flechten der Bespannung gebraucht wurden. Die Thonet Industrie versorgte damals weite Teile der Kronländer und war selbstverständlich auch das Konkurrenzprodukt zu unserem besprochenen Stuhl aus dem Weiherviertel.
Zum Unterschied der eleganten Bugholzmöbel aus Mähren erwies sich jedoch das System Kemter als bedeutend robuster bei den damals üblichen Auseinandersetzungen in den Wirtschaften und beim Raufhandel. Eine Eigenschaft, die im bürgerlichen Caféhaus des alten Wien vielleicht weniger vonnöten war als in den Rheintaler Bierstuben.
Im Heidelberger Fass in Bregenz ...
... hängt im hinteren Teil der Gaststube übrigens noch die Rechnung an den ehrenwerten Herrn Erich Vögel anno 1967, als zu den verabreichten zweiundzwanzig Zigeunerschnitzel auch noch das demolierte Mobiliar, das zerbrochene Fenster und ein Bregenzer Stuhl zu bezahlen war. Für die besondere Stabilität sorgten Eisengusszargen an der unteren Seite der Sitzfläche, welche jeweils die vorderen Stuhlbeine mit der Rückenlehne und der Sitzfläche verbanden. Diese Kombination stellte zur damaligen Zeit eine Neuheit dar. Zwar wurden schon seit jeher Eisenteile für Scharniere, Steckverbindungen und Schlosskästen verwendet, jedoch nicht bei konstruktiv beanspruchten Elementen. Aber nicht nur bei der Werkstoffwahl machte der Bregenzer Stuhl einen Spagat, sondern auch bei der Ergonomie der Sitzfläche - „Sessel fürs Wirtshaus sind flach, Caféhaussessel sind gewölbt!“ lehrt uns die Inhaberin des Wiener Café Weidinger am Lerchenfelder Gürtel. Und so verhält es sich auch mit dem Sitzkomfort. Mit der Verwendung von Brettern für die Sitzfläche verlangt der Patent Sessel dem Sitzfleisch einiges an Entgegenkommen ab, mit der Wölbung der Sitzfläche konnte jedoch die Ergonomie und somit auch der Komfort verbessert werden.
Post Hotel Kassl
Ein Hotel, das die Bregenzer Stühle seit fast hundert Jahren in Gebrauch hat.
©Photography Rudi Wyhlidal